Heute möchte ich Euch ein überaus spannendes Buch über die Beziehung des Ich-Bewusstseins zum Unbewussten empfehlen: John Bargh: Vor dem Denken. Wie das Unbewusste uns steuert.
Die Grundthese, die sich durch das ganze Buch zieht und sehr einleuchtend erklärt wird lautet: Es gibt kein Primat des Bewusstseins. Zuerst ist das Unbewusste da, sowohl in der Evolution wie auch in unserer persönlichen Entwicklung. Das Unbewusste steuert ständig unser Verhalten – auch wenn wir davon überzeugt sind, dass dem nicht so ist.
“Priming”
Das Thema wird aus verschiedenen Perspektiven angegangen. So gibt es unter anderem ein großartiges Kapitel über „Priming“, also darüber, wie Personen bestimmte Wahrnehmungsinhalte unterschiedlich verarbeiten, je nachdem mit welchen vorausgegangenen Inhalten sie in Kontakt waren. Erörtert wird ein berühmtes Experiment, in dem in den USA Mädchen asiatischer Herkunft in der 4. Klasse unterschiedlich „geprimt“ wurden, um danach eine Mathearbeit zu schreiben. Die erste Gruppe beschäftigte sich vor der Mathearbeit damit, dass sie Mädchen sind, die zweite Gruppe damit, dass sie asiatischer Herkunft sind. Das Ergebnis war eindeutig: die zweite Gruppe schnitt weitaus besser ab. Aus diesem und ähnlichen Versuchen lässt sich ableiten, wie stark kulturelle Sterotypen unser Verhalten und unsere Leistungen in der Gegenwart beeinflussen. Bei der ersten Gruppe bewirkte offenbar das Stereotyp „Jungs sind besser in Mathe als Mädchen“, dass die Leistung schlechter war. In der zweiten Gruppe bewirkte das Stereotyp „Asiaten sind in der Schule fleißiger“, dass die Leistung besser wurde.
Verstand und Bauchgefühl
Dann gibt es ein spannendes Kapitel über die Frage: Soll ich meinem Bauchgefühl trauen oder meinem Verstand. Die Antwort fällt sehr differenziert aus. Bargh formuliert 8 einleuchtende Regeln wie „Sichern Sie Ihr Bauchgefühl zumindest mit ein wenig bewusster Überlegung ab, sofern Ihnen dafür Zeit bleibt“ und „Wenn unser spontanes Bauchgefühl gegenüber einer Person anderer Hautfarbe oder Ethnie negativ ist, sollten wir es ignorieren.“
Realisierungsintentionen
Im letzten Kapitel mit dem Titel „Ihr Geist gehorcht Ihnen“ geht es um die praktische innere Arbeit mit Realisierungsintentionen, einer wirkungsvollen Technik, um unsere unbewussten, automatischen Mechanismen für uns arbeiten zu lassen.
Im Unterschied zu Zielintentionen geht es bei Realisierungsintentionen nicht primär um das Ziel, das wir erreichen wollen, sondern um das „wann“, „wo“ und „was“ einer beabsichtigten Handlung.
Entscheidungen kosten Kraft und Energie und je weniger wir uns mit trivialen Alltagsentscheidungen beschäftigen müssen, desto mehr Energie haben wir für kreatives Denken und Handeln. Eine Realisierungsintention ist eine exakt formulierte Handlungsabsicht, deren Realisierung ich meinen unbewussten Kräften überlasse.
„Die wirksamste Selbstkontrolle erfolgt nicht durch den Einsatz von Willenskraft und den angestrengten Versuch, Impulse und unerwünschte Verhaltensweisen zu unterdrücken. Sie beruht auf der effizienten Nutzung der unbewussten Kräfte des Geistes, denen diese Selbstkontrolle weitaus müheloser gelingt.“
Ich habe in den letzten Wochen einen Selbstversuch gemacht mit einem exakt festgelegten Plan, wie ich die ersten zwei Stunden des Tages verbringen will: Aufstehen – Atemübungen – kalte Dusche – Meditation – Faszienstretching – Frühstück – 2 km Spaziergang in meine Praxis. Und es funktioniert. Während ich bisher morgens eher diffus das eine oder andere gemacht und den Rest vergessen habe, bin ich schon am zweiten Tag meines Versuchs morgens aufgewacht mit den Gedanken an den Ablauf, den ich jetzt jeden Morgen mache. Es ist, also ob ich mir dabei zuschaue, wie sich meine Intentionen realisieren. Mein Fazit: Es klappt und ich werde dabeibleiben.
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